Vernissage und Eröffnungsrede von Dr. Karin Dohrmann am 4. November 2016


Eröffnungsrede für die Ausstellung „Wald und Peripherie“ von Mathias Lyssy

Kunstverein Ebersberg 04. November 2016

 

Die Kunst Mathias Lyssy begleitet mich nun schon seit langen Jahren und ich werde den Moment nie vergessen, an dem sein Kunst-Schaffen meine Begeisterung erweckte. Initialzünder war eine Benefiz-Ausstellung, die er für die Gesellschaft Bedrohter Völker in Göttingen veranstaltete. Der Raum war voller Besucher und wie es so ist, die Luft erfüllt von einer Kakophonie schwatzender und Sekt-schlürfender Gäste. Den Fotografen hat eigentlich keiner wahrgenommen, der wie ein Forscher durch den menschlichen Urwald geschlichen und Fotos gemacht hat. Erst als der Video- Projektor anging und Mathias Lyssy die Polaroids bearbeitete – Motive umriss, Linie ritzte und Schichten auseinander nahm, wurde es im Raum zunehmend ruhiger, die Leute starrten gespannt auf das Geschehen an der Wand und verfolgten diese künstlerischen Metamorphosen. Die Besucher konnten miterleben wie aus einem realen, fotografisch aufgenommenen Gesicht in kürzester Zeit Kunst wurde. Das war eine ganz besondere Atmosphäre an diesem Tag, die sich mir tief ins Gedächtnis geprägt hat. Die Besucher waren fasziniert von der Technik, dieser besonderen Art von Fotografie und sie konnten ihr Kunst-Konterfei für kleines Geld mit nach Hause nehmen und gleichzeitig Gutes tun.

 

Die Polaroids von Mathias Lyssy sind ganz besondere Kleinode. Da ist zum einen das Format, das als Hosentaschenkunst einem in die kleinste Wohnung begleitet. Dann die experimentelle Spontanität, da dem Künstler nur wenige Sekunden der Entwicklungszeit bleiben um das Material zu gestalten, umzuformen, der starren Fotografie eine malerische Gestaltung zu geben. Hier fließt die kreative Kraft unverfälscht in das Werk und ist im Augenblick konserviert.

 

Die Einstellung dieser speziellen Polaroid-Technik durch Kodak hat der experimentellen Fotografie kreatives Medium entzogen und die noch vorhandenen Werke zu wahren Sammlerstücken werden lassen. Ich kann Ihnen daher nur raten, wenn Sie sich ein kleines Kunst- Kleinod sichern wollen, dann schlagen Sie zu. Denn was heute im Kunstverein Ebersberg hängt, sind die letzten Werke dieser außergewöhnlichen Technik!

 

Das Thema „Wald“ bestimmt seit drei Jahren das fotografische Werk von Mathias Lyssy. Ein Motiv, das in trefflicher Form den Raum Ebersberg beschreibt und zu Ebersberg gehört wie das Wappentier der Eber. Ohne den Baum gäbe es die menschliche Kultur nicht. Bis vor hundert Jahren war alles – Energie, Behausung, Behälter, Nahrung und Kleidung – alles gespendet vom Baum. In allen Mysterien und Religionen gibt es Geschichten von Wesen, Heiligen oder Propheten, die in Bäumen wohnen oder deren seelische Zustände dort verweilen.

 

Das umfangreiche Werk der Baumfotos, die serielle Aufarbeitung des Motivs und die starke farbliche Wirkung der Fotos macht deutlich welche emotionale Bedeutung der Wald für den Künstler Mathias Lyssy hat. Die Verbindung von Fotografie und Malerei macht die Faszination dieses Werkes aus. Das durch die Fotografie erzeugte Abbild des Sichtbaren wird durch das malerische Handwerk erweitert mit dem was der Künstler im Moment des Fotografierens gedacht, gehört – schlichtweg empfunden hat. Die Farb-Intensität der Baum- und Waldbilder sind geradezu psychologisch. Manche erzeugen vor dem inneren Auge Märchenbilder aus Kindertagen. Da sind Gefühle, die Geborgenheit vermitteln, aber auch andere, die die Angst vor dem bösen Wolf lebendig werden lassen. In anderen zeigen sich die warmen vielfältigen Farben eines Sonnenuntergangs, der den Wald in abstrakte Schattenspiele auffächert und der einen an beruhigende herbstliche Spaziergänge mit dem Hund erinnert, durch den alle Anspannung von einem fällt.

 

Der Fotograf nähert sich diesen Baum-Individuen in langen Belichtungszeiten und kreisender Bewegung. Er umrundet die hölzerne Struktur, folgt mit dem Foto-Auge Stamm und Ast und offenbart dem Betrachter ganz neue Möglichkeiten den Wald wahrzunehmen. Manche Bilder scheinen wie mit der Kamera gepinselt und daher ist es wohl auch eine logische Entwicklung, dass die Baum-Fotos von Jahr zu Jahr abstrakter werden.

 

Mathias Lyssy versetzt die Räume des Kunstvereins in einem Zauberwald und schenkt den Eberberger Bürgern ein ganz anderes Wald-Erlebnis!

 

Mit den Worten von Paul Eipper schicke ich Sie, verehrte Besucher, in diese ganz besondere Ausstellung:

„Wer noch nie Stubben-Gespenster sah bei Herbstnebel, Pilz-Zwerge und Wacholder-Tänzer, ein Buchenmännchen, das in der winterlichen Mondnacht „goldene Blätter“ bekommen hat, der erlebte noch nie zur Gänze seinen Wald, mag er ein noch so gründlicher Beobachter sein.“

 

Eröffnungsrede: Dr. Karin Dohrmann (Kuratorin) 


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